zur RP Online Homepage aus der Region zum Kundenservice zur OPINIO Homepage
OPINIO Header
 

- Anlegen
- Eigene Artikel
- Nachricht schreiben
- Eingang
- Ausgang
- Profil Ändern
- Stammdaten

(-; Meistgelesen ;-)

Laufen |  05.05.07 |  16:19  Uhr

In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
von HowardJ | Langenfeld |  1012 mal gelesen
Um die Alster zur Wolke 7
Hamburg, 29. April 2007, 8:55 Uhr, die Sonne scheint, der Kloß sitzt. Und zwar mir im Magen. Es ist zwar schon mein zwölfter Marathon, der in 5 Minuten gestartet wird, aber die Nervosität lässt sich nicht abschütteln.

Es mag daran liegen, dass ich bei den elf vorher gelaufenen bislang nur einmal das Gefühl hatte, wenigstens halbwegs gut gelaufen zu sein. Deutlich zu wenig für den Aufwand, den ich in die Vorbereitung stecke. Wobei ich gut weniger an der Zeit festmache, als an dem Gefühl, gut durchgekommen und mehr oder weniger gleichmäßig von vorne bis hinten gelaufen zu sein.

Erklärungen, warum ich meist zwischen Kilometer 28 und 35 einen Einbruch hatte und ausgedehnte Wanderpassagen einlegen musste, gab es zahlreiche. Häufig bedingen sich die Gründe wechselseitig, so dass deren Vermeidung schwierig und mühsam ist, wenn man im Jahr nur ca. zwei Versuche hat, einen Marathon zu bestreiten. Dieses Mal kam noch erschwerend hinzu, dass ich in den 13 Wochen der Vorbereitung wegen Beruf und Erkältung weit von meinem angepeilten Wochenkilometerpensum entfernt blieb. Aber den reduzierten Trainingsumfang kann man ja zumindest durch eine reduzierte Zielsetzung kompensieren. Schließlich kommt es auf gleichmäßiges Durchlaufen an.


Ich stehe am Ende des ersten Startblocks. Es wird ca. fünf Minuten dauern, bis ich nach dem Startschuss die Startlinie passieren werde. Die Stimmung unter den 23.000 Startern ist prächtig. Irgendein amerikanischer Sänger intoniert mehr schlecht als recht das Deutschlandlied, das aus den Lautsprechern scheppert. Dann geht es los.

Obwohl ich vorher zweimal die Dixi-Klos aufgesucht habe, spüre ich schon wieder einen Druck auf der Blase. Mist! Die Entscheidung, den Lauf schon auf dem ersten Kilometer noch mal kurz zu unterbrechen, ist schnell getroffen und erweist sich als goldrichtig. Kilometer zwei läuft sich deutlich entspannter.

Zu entspannt, wie die Zwischenzeitkontrolle zeigt. Also Tempo drosseln, ehe wir einem Lindwurm gleich auf Lindenbergs „geile Meile“ einbiegen. Aber so früh ist hier nichts los. Zumindest nichts, wofür die Reeperbahn berühmt ist. Zuspruch von außen gibt es dennoch reichlich. Das liegt nicht zuletzt an meinem rot-weiß gestreiften Fortuna-Trikot mit Totenkopf-Emblem und Namen drauf, das speziell St. Pauli-Fans Anfeuerungsrufe entlockt.

Dreißig Meter vor mir entdecke ich noch ein F95-Hemd. Ich arbeite mich heran und erfahre, dass es Jörg aus Fortunas Laufabteilung gehört. Wir unterhalten uns über einen Kilometer lang nett miteinander, tauschen Erfahrungen aus und zum Abschied ruft er mir hinterher: „Wir sind Fortuna Düsseldorf – Wir können alles!“

Mittlerweile auf der Elbchaussee, zieht der Läufertross an Hamburgs chicen Villen vorbei den Landungsbrücken entgegen. Mein Tempo fühlt sich nach wie vor gut an und ist konstant. Wenn ich ehrlich bin, konstant zu schnell für meine reduzierte Zielzeit. Aber in dem Moment bin ich nicht ehrlich zu mir. Fühlt sich ja gut an. Ich laufe ein wenig wie in Trance.

Jubelnde Zuschauer rechts und links sorgen für großartige Stimmung am Rand und bei den Läufern. Und als es durch einen zuschauerfreien Autotunnel geht, übernehmen die Läufer die Stimmungsmache kurzerhand selbst, indem sie auf Kommando laute Schlachtrufe ausstoßen und sich am Echo freuen. Läufer sind Kleinkinder.

Ich nehme fast jede der alle zweieinhalb Kilometer aufgestellten Wasserstellen wahr. Immer nur einen halben Becher, der Rest wird über den Kopf geschüttet. Dehydrieren käme jetzt ganz schlecht. Mittlerweile sind wir auf dem Weg nach Norden, lassen nach zwanzig Kilometern die Alster links liegen und arbeiten uns über Barmbek, den Stadtpark, die City Nord zum Alsterdorf vor. Kilometer dreißig und ich fühle mich immer noch gut. Sollte es diesmal klappen?

Nur noch zwölf Kilometer.

Am nördlichsten Punkt der Strecke verdichten sich die Zuschauerreihen. Der permanente Applaus wird zum Orkan und peitscht mich vorwärts. Ich werde schneller. Zu schnell! Denn kurze Zeit später spüre ich, dass ich nichts mehr zusetzen kann. Der Wunsch, eine Pause einzulegen, macht sich vom Kopf aus im ganzen Körper breit. War’s das? So wie zehnmal vorher schon? Mehr gehend als laufend Durchschleppen bis zum Ziel? Bitte nicht! Ich gebe nach.


Mit einer Mischung aus Ärger und Trotz werfe ich die letzte Ration Kohlehydrate ein. - Und fange nach anderthalb Kilometern mit einmal wieder an zu laufen. Im Unterschied zu sonst mit dem Gefühl, es kontrolliert laufend schaffen zu können. Schritt für Schritt.

Noch zwei Kilometer.

Die Bässe von „Smoke on the Water“ dröhnen mir in einer Unterführung entgegen und lassen meine Gänsehaut im Takt zucken. Überschlägig rechne ich aus, dass mich der kleine Einbruch nur knappe fünf Minuten gekostet hat und der Gedanke an eine Bestzeit mobilisiert weitere Kräfte. Auf meiner Uhr kann ich nichts mehr erkennen. Augen zu und durch. Im Hochgefühl überhole ich Läufer um Läufer. Wir sind Helden.

In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Wenn hinter meinen stillen Hasen-
Augen die Gedanken rasen.
(*)

Auch ich rase. Wie ein Hase. Und gänzlich unbescheiden reiße ich beim Überqueren der Ziellienie die Vorderläufe hoch.

YEP!

Nüchtern betrachtet, völlig übertrieben, sich so über so etwas profanes wie eine Marathonzeit zu freuen. Aber in dem Moment bin ich nicht nüchtern. Immer noch nicht.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Weiterführende Links:
Zeittabelle dieses Laufs
Meine Marathon Motivation

(*) aus „Nur ein Wort“ von „Wir sind Helden“
Bilder: meine
 
Meinungen von Lesern zu diesem Artikel
hierbinich | 13.05.07 |  15:40  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Wenn ich das lese mein Lieber Peter, dann scharren meine Füße vor Ungeduld. Du beschreibst eine schöne Erlebnismischung aus Begeisterung, Philosophie, Leistung, Taktik und Leidensfähigkeit. Als Läufer kennt man das alles ganz genau, doch es von jemand anderem geschildert zu bekommen, tut immer wieder gut. Es ist ein bisschen, als hätte man es selbst erlebt.
hierbinich richtig aus der Puste
HowardJ | 12.05.07 |  21:54  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Danke für’s Mitlaufen, SSV, können wir gerne wiederholen. Morgen am Unterbacher See?

Trotzdem Danke, sherekhan, und Gruß auf die Bärenhaut.

Hey, Pamina, das trifft es sehr gut. Ist wirklich unabhängig vom Unterfangen.

Mensch, Flaschengeist, ganz herzlichen Dank für Kommentar und Glückwünsche!!!

bourbaki, die Lauferei fing bei mir mit 40 an. Herr Albertz ist davon ja so weit auch nicht mehr entfernt. Vielleicht rennt er dann wieder mehr.

dreistein, zu Risken und Nebenwirkungen dieser Medizin fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Oder Flaschengeist. Oder Grölatz. Oder mich ;-)

Ja, das fand ich auch sehr schön, dirk_a. Zumal es stimmt. (Außer Aufsteigen)

Ich grüße dich rot-weiß zurück, lutherratte

Gute Idee, grölatz, also nächstes Jahr Düsseldorf? Und bei KM 40 gibt’s dann flaschengeistige Stärkung!

Danke für Eure Kommentare!!!
Howie
GRÖLATZ | 10.05.07 |  22:54  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Howie - das ist ganz groß.
Einen ganz herzlichen Glückwunsch zu dem tollen Lauf und den herrlichen Bericht. Da ich dort schon selber gelaufen bin, bin ich dir im Geiste gefolgt. Ein schönes Gefühl (und auch nicht so anstrengend).
Wenn du noch mehr davon berichtest, werfe ich meine Entscheidung, keinen Marathon mehr zu laufen, über den Haufen.

Übrigens: das von dir zitierte Lied von "Wir sind Helden" ist mein persönliches Lieblingslied, wenn ich mal mit Musik laufe.

Mit schnellem Schuh grüßt

grölatz
lutherratte | 07.05.07 |  17:41  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
@ all F95er
1973 wechselte sich ein früherer Nationalspieler, ohne den Trainer zu fragen, ein und schoß das entscheidende Tor für sein Team.
2007 wechselte sich ein früherer Nationalspieler, ohne den Trainer zu fragen, aus, nachdem er sich geweigert hatte, das entscheidende Tor für sein Team zu schiessen.
Tempora mutantur.
Rotweisse Grüße
dirk_a | 07.05.07 |  17:08  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Sehr sehr schön...
... und sehr sehr schön, dass unser alter T-Shirt-Aufdruck "Wir sind Fortuna Düsseldorf - Wir können alles" mal wieder zu Ehren kam
dreistein | 07.05.07 |  13:48  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Herrlicher Bericht. Wann immer ich doch mal auf die Idee kommen könnte einen Marathon anzugreifen werde ich mir deine Leidensberichte ansehen.

Das ist die beste Medizin. Du wirst es sowieso immer wieder machen, bis zum Umfallen. Viel Spaß dabei ;-).
bourbaki | 06.05.07 |  15:13  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Verdammt sportlich der Herr! Kappe ab! Du machst mir ja ein richtig schlechtes Gewissen. Schließlich schreibe ich mehr über Sprt als ihn zu treiben.
Neulich bin ich schon beim Inlinern so ordentlich gestürzt, dass ich aussah wie Axel Schulz nach der 3. Runde.
Und: Ist das etwa ein Fortuna-Trikot, was du da trägst? Von deiner Laufbereitschaft könnten sich einige Profis jedenfalls noch was abschneiden. Ein gewisser Herr Albertz zum Beispiel.
Viele Endophine wünscht dir weiterhin
bourbaki
Flaschengeist | 05.05.07 |  20:53  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Mensch Howie...da isser endlich...dein persönlicher Bericht über 42 kM Leiden... oder eben nicht.
Du kannst alles! Und ich freu mich so sehr für dich, weiß ich doch, dass du fast nicht laufen wolltest...
DU HAST ES GESCHAFFT!
Ich hab Gänsehaut nach dem Lesen....wie geil musset sein, mit "Smoke on the water" dem Ziel, deinem Ziel entgegen zu laufen.... !!!!
Ich werde morgen eine Iso-Schorle auf dein Wohl trinken, wenn ich da in Bananen, Cola undwatweißichnicht bade...mich auf das Uerige danach freue....dann werde ich an dich denken...
Ach.
KLASSE!!!!
CONGARTUALTIONS!!!!

Viele bewundernde Grüße vom Flaschengeist...
1. Vorsitzende.... na, du weißt....
Pamina | 05.05.07 |  14:03  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Wow, Howie,
du hast ja gestern auch kurz davon erzählt und ich hatte da schon das Gefühl, du bist noch gar nicht ganz wieder da, läufst im Geiste immer noch. Toll.

Sicher nicht ganz vergleichbare, aber nicht minder berauschende Glücksgefühle habe ich beim Reiten auch immer wieder; der Trick liegt vermutlich im Schweiß, den der liebe Gott vor den Preis gesetzt hat: Man ackert immer wieder Stunde um Stunde, lernt Demut kennen und die kleinen Fortschritte zu schätzen, aber die wenigen, doch dafür grandiosen Momente, wenn's einfach fluppt, entschädigen für alles!!! Wobei ich mir sicher nicht zufällig einen Sport ausgesucht habe, den man - bei aller Anstrengung - im Sitzen ausübt... :D
sherekhan | 05.05.07 |  13:15  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
das kannst du noch so euphorisch beschreiben - ich macht datt nich...;-)

s., der lieber auf der faulen bärenhaut liegt

 2 
Treffer 1 bis 10 von 11
Sehnsuchtsvorstand | 05.05.07 |  11:43  Uhr
RE: In meinem Blut werfen die Endorphine Blasen
Tach'chen...
Hey Fisherman!
Gut gelaufen
+
Gut geschrieben

Bin neben dir gerannt!
Du hast es dir bewiesen;)


Rot weiße Grüße
In diesem Sinn: man sieht sich!

 2 
Treffer 11 bis 11 von 11